Dr. Jürg Lareida ist eine Kapazität auf dem Gebiet der Endokrinologie Diabetologie sowie Osteologie. Während rund 30 Jahren führte er seine Zuweisungspraxis an der Vorderen Vorstadt 16 in Aarau. Er behandelte Patienten aus der ganzen Schweiz – mit durchschnittlich 800 neuen pro Jahr – rund 22’000 Patienten. Er übergibt das Zepter mit einem lachenden und weinenden Auge Mitte Dezember seiner Nachfolgerin. Die gebürtige Aarauerin PD Dr. Claudine Blum wird die Praxis ab Januar weiterführen. Dennoch bleibt er als Präsident des Aargauischen Ärzteverbandes mit seinem Metier und dem Gesundheitswesen verbunden. Die Faszination Medizin wird immer bleiben.
Nach 28 Jahren übergeben Sie Ihre Hausarztpraxis Ihrer Nachfolgerin. Wenn Sie Bilanz ziehen, welche besonderen Erinnerungen prägen Ihren Weg?
Dr. Jürg Lareida: Ich habe ab November 1994 vereinzelt Patienten übernommen und aus der allgemeinen Praxis eine Zuweisungspraxis für mein Spezialgebiet Endokrinologie mit Grundversorgungsfunktionen aufgebaut. Es war für mich ein schönes Erlebnis, zu sehen, wie meine Praxis gewachsen ist. Ich habe einen erfüllenden Beruf und es macht mir grosse Freude, meine Patientinnen und Patienten zu betreuen und beraten und ihnen mit ihrer meist chronisch verlaufenden Krankheiten zu einer besseren Lebensqualität zu verhelfen. Ich empfange in meiner Spezialpraxis zur Behandlung von Hormonkrankheiten wie Diabetes mellitus, Schilddrüsen-, Hypophysen-, Nebennierenerkrankungen und Osteoporose Patientinnen und Patienten aus der ganzen Schweiz. Ich konnte immer wieder neue Erfahrungen machen und neues Wissen aneignen, hatte ich doch das Privileg, ganz seltene Krankheitsbilder zu sehen und zu behandeln. Mit meiner Erfahrung und Know-how hatte ich auch zahlreiche TV-Auftritte bei «Puls», der Gesundheitssprechstunde und erlangte so einen gewissen Bekanntheitsgrad.
Wie hat sich die Gesundheitsbranche in den letzten zehn Jahren verändert?
Unser Gesundheitswesen wird immer stärker durch den Staat reguliert. Dies hat zur Folge, dass wir zwar eine immer grössere Arbeitsleistung erbringen, aber unser Umsatz und schliesslich unser Einkommen immer kleiner wird. Zunehmend müssen wir, um unsere Patientinnen und Patienten bestmöglich behandeln zu können, Kostengutsprachen bei den Krankenversicherungen einholen. Als Folge nimmt der administrative Aufwand stark zu und es kommt durchaus vor, dass Therapien die notwendig wären, abgelehnt werden.
Was fasziniert Sie nach wie vor an der Medizin?
Für mich ist Arzt nach wie vor trotz vermehrter Regulierung ein schöner Beruf. Es ist immer wieder schön, anderen Menschen zu dienen und zu helfen.
Wo haben Sie bei Ihrer Arbeit Prioritäten gesetzt?
Mein Credo ist, gute Qualität mit Menschlichkeit zu vereinbaren. Es ist mir wichtig, auf den Patienten einzugehen und für ihn die beste Lösung zu finden, sofern dies mit seinem Krankheitsbild zu vereinbaren ist.
Wie war die Zusammenarbeit mit Ihren Patientinnen und Patienten?
Immer sehr persönlich. Ich versuche, wenn immer möglich, dem Patienten zu lehren, sich selber zu behandeln.
Was werden Sie besonders vermissen?
Die vielen Kontakte und interessanten Gesprächen mit meinen Patienten, die mir immer innerliche Befriedung geben. Ich habe Patienten über Jahrzehnte begleitet und gesehen wie sie sich respektive ihr Gesundheitszustand entwickelt hat. Es gab Patienten, die hatten Tränen in den Augen, als ich mich verabschiedete.
Wie geht es mit Ihrer Praxis weiter?
Ich habe eine exzellente Lösung gefunden oder sie hat mich gefunden. Meine Nachfolgerin ist PD Dr. Claudine Blum. Sie ist eine junge, aber schon erfahrene Ärztin, die auf den Spezialgebieten der Endokrinologie, Diabetologie sowie Osteologie auch wissenschaftlich arbeitet. Ich freue mich sehr, mein Lebenswerk in so kompetente Hände übergeben zu können und dazu noch an eine gebürtige Aarauerin. Irgendwie bin ich dies meinen langjährigen Patienten schuldig, denn ich führte im Westaargau als Einziger eine Praxis für diese Spezialgebiete und hatte so Wartezeiten bis zu vier Monaten.
Haben Sie bereits Pläne für Ihr «neues» Leben?
Ich bleibe vorerst Präsident des Aargauischen Ärzteverbandes und habe so mehr Zeit für dieses Amt. Dabei ist es mir ein Anliegen, die Bevölkerung über die Situation im Gesundheitswesen besser aufzuklären. Sicher werde ich künftig mehr Sport treiben, mehr lesen und die Natur mehr geniessen.
Sie sind seit 6 Jahren Präsident des Aargauischen Ärzteverbandes. Was reizt Sie besonders an diesem Amt?
Ich stamme aus einer Politikerfamilie, mein Vater Kurt Lareida war 15 Jahre Aargauer Regierungsrat (1976 bis 1991). Daher interessiert mich einerseits die Politik, andrerseits ist es mir aber wichtig, dass unser Berufsstand weiterhin möglichst wenig reguliert wird und seine Freiheit behält. Das Amt ist für mich auch ein schöner Ausgleich zur Tätigkeit in der Praxis – allerdings hat es mich während der Pandemie sehr gefordert.
Wie effizient ist die Aargauische Gesundheitsversorgung?
Das ist subjektiv. Aber ich würde sagen, die praxisambulante Medizin ist viel effizienter als die spitalambulante Medizin. Im Gegensatz zu anderen Ländern haben die Hausarztpraxen in der Schweiz viel mehr Möglichkeiten, gleich vor Ort, in kurzer Zeit medizinische Abklärungen vorzunehmen und sind so sehr agil und flexibel.
Wo liegen die grössten Herausforderungen im Aargauischen Gesundheitswesen?
Die Herausforderungen sind mannigfaltig: Es wird immer schwieriger, eine gutes Grundversorgungsnetz zu bieten – so herrscht beispielsweise bereits ein grosses Vakuum im Oberen Wynental. Auch unsere Notfalldienste sind extrem überlastet, weil viele Menschen viel zu schnell – teilweise wegen Kleinigkeiten – diese aufsuchen. Diese Tendenz muss man dringend korrigieren und besser steuern. Ebenso müssen wir oftmals Fehler der Politik aus Bern auf kantonaler Ebene ausbügeln. Die Gebiete der Spezialmedizin sind im Aargau gut versorgt, allerdings gibt es auch hier Fachärzte in nicht invasiven Gebieten, die keine Nachfolger finden.
Nach wie vor werden Hausärzte immer rarer. An was liegt das?
Einerseits schlechte Arbeitsbedingungen, andererseits wird die Medizin weiblich. Konkret heisst dies, dass viele Ärzte nicht bereit sind, grosse Pensen zu übernehmen. Früher waren die Ärzte Tag und Nacht für ihre Patienten da. Das hat sich geändert. Junge Ärztinnen und Ärzte legen grossen Wert auf eine ausgeglichene Work-Life-Balance, wofür ich persönlich viel Verständnis habe. Dann werden zu wenig Medizinerinnen und Mediziner ausgebildet. Die Zulassungssteuer, welche seit einem Jahr in Kraft ist, hindert auch Hausärzte sich selbstständig niederzulassen. Zudem torpediert das Bundesamt für Gesundheit BAG den neuen Arzt-Tarif TARDOC für die Abrechnung ärztlicher Leistungen, welcher die Grundversorgung stärken würde.
Wie gut hat das Aargauer Gesundheitswesen die Pandemie gemeistert?
Der Kanton Aargau hat das gut gemacht. Unsere liberale Haltung hat sich als richtig erwiesen. Der Krisenstab war gut aufgestellt und hat pragmatisch und unkompliziert agiert. Die Zusammenarbeit war sehr angenehm.
Was lehren wir aus der Pandemie?
Covid ist noch nicht von der Bildfläche verschwunden, es kann da jederzeit noch Überraschungen geben … Zudem ist jede Pandemie anders. Wir haben erfahren, dass Masken wirksam verhindern können, sich anzustecken. Sie sollten auf freiwilliger Basis auch künftig beibehalten werden.
Was ist ein grosses Anliegen des Aargauischen Ärzteverbandes auf politischer Ebene?
Wichtige Punkte sind die effizientere Organisation der Notfalldienste, die Tarifstruktur für ambulante Arztleistungen mit den Krankversicherungen zu bereinigen und die Zulassungsstruktur für künftige Medizinerinnen und Mediziner in vernünftige Bahnen zu lenken – notabene ohne grossen Flurschaden.
In welche Richtung entwickelt sich unser Gesundheitswesen, im Speziellen die Hausarztpraxen?
Zu immer mehr staatlicher Regulierung! Der neuste schlimme Vorschlag des BAG sind staatlich geführte Ärzte-Netzwerke. Es gilt nun, solche Bestrebungen Richtung Staatsmedizin zu verhindern. Das dürfte eine grosse Herausforderung sein.
Interview: Corinne Remund